Interview mit Staatssekretärin Claudia Plakolm: „Die Jungen dürfen nicht die Dummen sein“

Claudia Plakolm (ÖVP) spricht im VN-Interview über Wertschätzung für junge Menschen, den niederschwelligen Ausbau psychosozialer Betreuung und eine mögliche Leerstandsabgabe.

Wien Sie ist erst eine knappe Woche im Amt, ihr Büro am Wiener Ballhausplatz hat sie dennoch schon etwas umgestaltet. An der Wand hängen Bilder, darunter steht eine blaue Posaune: Ein Hinweis auf ihre Mitgliedschaft in der Ortsmusik des 4000-Einwohner-Dorfes, in dem sie aufgewachsen ist und das von ihrem Vater als Bürgermeister geführt wird. Die Oberösterreicherin Claudia Plakolm (27) ist Obfrau der Jungen Volkspartei, war seit November 2017 Abgeordnete zum Nationalrat und kam nun bei der Regierungsumbildung zum Zug: Als neue Staatssekretärin im Bundeskanzleramt übernimmt die ehemalige Jugend-Sprecherin im Parlament die Jugend-Agenden in der Regierung.

Nach Ihrer Ernennung zur Staatssekretärin stand in vielen Portraits etwas vom „neuen Sebastian Kurz“. Ist das eine Ehre oder eine Bürde?

Plakolm Also ich bin die Claudia Plakolm und ich freu mich sehr, dass ich Staatssekretärin sein und im Bundeskanzleramt die Jugend-Themen betreuen darf.

Haben Sie also das Gefühl, dass die Regierung die Jugendthemen zu stark vernachlässigte?

Plakolm Wir konnten sehr viele Ziele in der Jugendpolitik erreichen. Ich freue mich, den Schwerpunkt – wie es jungen Menschen in der Krise geht – in den Vordergrund zu rücken.

Der Themenkomplex „Familie und Jugend“ hat drei Seiten im Regierungsprogramm, es ist das kürzeste Kapitel von allen. Was können Sie aktiv bewirken?

Plakolm Jugendpolitik ist eine Queerschnittsmaterie. Jeder einzelne Beschluss, der gefällt wird, ist Politik für junge Menschen. Ich würde das deshalb auch nicht darauf begrenzen, wie viele Themen man im Regierungsprogramm findet.

Sie haben kein Stimmrecht im Ministerrat, was können Sie effektiv ausrichten?

Plakolm Ich sitze sehr wohl mit am Tisch und möchte dort die Jugendthemen vorantreiben. Die Herausforderung der Corona-Pandemie ist im Moment natürlich Thema Nummer eins, da möchte ich den Fokus auf junge Menschen lenken.

Die Bundesjugendvertretung spricht von einer Million Kinder und Jugendlichen, die unter psychischen Problemen leiden, noch einmal verstärkt durch die Pandemie. Soll es aus Ihrer Sicht einen Rechtsanspruch auf Kassen-Therapieplätze geben?

Plakolm Das wäre eine Möglichkeit, der Gesundheitsminister hat 13 Millionen Euro für den Ausbau psychischer Gesundheit junger Menschen in den Raum gestellt. Man muss jetzt gut überlegen, wo wir diese investieren. Ich plädiere massiv dafür, dass wir einen niederschwelligeren Zugang zu Unterstützung bieten. Da müssen wir zum Beispiel schon im Klassenzimmer mit der Schulpsychologin ansetzen.

Da werden die 13 Millionen aber wahrscheinlich nicht reichen.

Plakolm Ich bin für einen niederschwelligen Zugang, beispielsweise auch per Handy-Chat. Ich glaube, dass der Griff zum Hörer für viele schon eine größere Hemmschwelle ist.

Sie haben öfter die Attraktivierung der Lehre angesprochen. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass viele Lehrlinge aber unzufrieden sind. Wie erklären Sie sich das?

Plakolm Die Lehre gehört mit unzähligen Mitteln attraktiviert. Langfristig ist es wichtig, dass die jungen Menschen mit harter Arbeit und viel Fleiß sich wieder etwas schaffen können.

Aber wie kann es dann sein, dass drei Viertel aller Lehrlinge ihre Arbeitsdokumentation beklagen?

Plakolm Das werde ich mit den Zuständigen besprechen. Das Thema Lehre ist definitiv eines, das sehr stark im Vordergrund ist. Sie ist ein internationales Erfolgsmodell, das der Grund ist, warum die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich gering ist.

Sollten Lehrlinge mehr verdienen?

Plakolm Das gilt es zu klären. Jeder der Arbeiten geht, leistet einen enormen Beitrag und das müssen wir wertschätzen.

Viele der Studierenden leiden unter den Maßnahmen und der Distanzlehre. Sollte sich die Regierung bei den Universitäten für mehr Präsenzlehre einsetzen?

Plakolm Ich plädiere an die Universitäten, wieder Präsenzlehre zu ermöglichen. Gleichzeitig gibt es Studierende, die die Lehre lieber hybrid von Zuhause aus verfolgen – wegen der zeitlichen Vereinbarkeit mit anderem, zum Beispiel.

Die Universitäten sollen weiter autonom agieren können?

Plakolm Ja.

Die Lehre wurde an Schulen und Universitäten stark digitalisiert. Was kann man da beibehalten?

Plakolm Speziell hybride Modelle wird es in der Zukunft geben. Das ist für Studierende, die oft berufstätig sind, ein großer Vorteil. Es sollte aber eine Wahlfreiheit geben.

Beim JVP-Parteitag haben Sie gesagt, dass man bis zum 30. Geburtstag ein Haus gebaut, ein Kind gezeugt und einen Baum gepflanzt haben muss. Ist das ein Bild, das sie in der Regierung vermitteln wollen?

Plakolm Ich verstehe absolut nicht, wieso der Sager zu einem großen Diskussionspunkt geworden ist. Das ist die absolute Lebensrealität und normal, dass junge Menschen auch daran denken, sich etwas aufzubauen. Dafür, dass sie das auch können, werde ich arbeiten.

Jungen Menschen fehlt für den Hausbau aber meist das Geld.

Plakolm Wie vorhin angesprochen, braucht es mehr Wertschätzung. Junge Leute, die arbeiten gehen, dürfen nicht die Dummen sein.

Nur gehen die Mieten in vielen Regionen durch die Decke. Braucht es eine Leerstandsabgabe?

Plakolm Da gibt es einige Maßnahmen im Regierungsprogramm, um Wohnen leistbarer zu machen. Eine wäre zum Beispiel, dass der Vermieter die Maklerprovision bezahlen muss. Bei der Leerstandsabgabe stellt sich die Frage, wer zuständig ist, aber man kann sie sicherlich diskutieren.

Die deutsche Ampelkoalition will Cannabis entkriminalisieren. Braucht es diesen Schritt in Österreich?

Plakolm Nein, das ist kein Thema. Wir haben dringendere Herausforderungen.

Landeshauptmann Thomas Stelzer war froh über die neue Oberösterreich-Achse in der Bundesregierung, unter anderem mit Ihnen. Ist es problematisch, wenn Posten nach Bundesländern verteilt werden?

Plakolm Nein, absolut nicht. Ich glaube, es wäre schlimm, wenn wir nur Wienerinnen und Wiener in der Bundesregierung hätten. Es ist wichtig, dass die Politik den Anspruch hat, repräsentativ zu sein. Ich bin aber nur den 1,7 Millionen jungen Menschen Österreichs verpflichtet.

Sie werden in vielen Themen auch auf die Grünen angewiesen sein, wie ist das Koalitionsklima?

Plakolm Sehr gut. Die Koalition wird viel für junge Menschen weiterbringen.

Und sie hält bis 2024?

Plakolm Ja.

Vor einem Jahr haben Sie im VN-Gespräch noch gesagt, dass Sie keine Karriere als Berufspolitikerin anstreben. Was ist dazwischengekommen?

Plakolm Vor zehn Tagen hat meine Welt auch noch anders ausgeschaut. Ich habe im Studium alle Lehrveranstaltungen und Prüfungen abgeschlossen, es fehlt nur noch die Diplomarbeit. Aktuell gibt es aber Herausforderungen, die klar Priorität haben.

Hier im Büro steht eine Posaune, Sie haben sich immer sehr musikalisch gezeigt. Was waren denn Ihre Top-Lieder beim Spotify-Jahresrückblick?

Plakolm Bei mir ist angesichts der Posaune die Blasmusik natürlich vorne mit dabei. Die „Woodstock der Blasmusik“-Playlist ist immer sehr motivierend beim Autofahren. Sonst sind viel Pop und Rock mit dabei.

 

Dieser Text erschien zuerst am 14.12.2021 in den Vorarlberger Nachrichten und ist weiterhin hier abrufbar.