Eine abgesagte Matura als Chance für die Zukunft?

Der Alltag von vielen jungen Menschen in Österreich wurde in den letzten beiden Wochen vollkommen umgekrempelt. 1,1 Millionen Schülerinnen und Schüler dürfen seit dem 16. März ihre Schulen und Kindergärten nicht mehr besuchen – Sie wurden ausgesperrt von den Orten, die bisher ihr Leben prägten. Dies passierte noch bevor verschärfte Maßnahmen für das ganze Land bekannt gegeben wurden. Die Angst vor Infektionsherden in den Bildungseinrichtungen war einfach zu groß.

Verständlicherweise löste diese Nachricht zu Beginn einiges an Freude bei den Schülern aus, auch wenn Bildungsminister Heinz Faßmann versuchte, diese gleich einzubremsen. Der Unterricht falle natürlich nicht aus, er werde nur über digitale Plattformen nach Hause verlagert, betonte er. Doch das gute Gefühl blieb. Welche Schülerin würde sich bei dem Gedanken an mehrere Wochen außerordentliche „Ferien“ nicht – wenigstens heimlich – freuen?

Tatsächlich blieben die Freudensprünge über die Schulschließungen bei knapp 40.000 jungen Erwachsenen eher aus. Bei denjenigen nämlich, die eigentlich vorgehabt hätten, im Mai zur Matura anzutreten. Denn für sie wurde es plötzlich stressig. Der ursprüngliche Plan war, mit Schulschluss am 30. April ein Zeugnis der achten Klasse und damit die Matura-Zulassung in der Hand zu halten. Die letzten Schularbeiten und Tests hätten noch vor den Osterferien stattgefunden, wie auch die Präsentationen der Vorwissenschaftlichen und Diplomarbeiten. Und dann – nach einer mündlichen Prüfung – wären die Türen zu Summersplash und Co. offen gestanden.

Doch so wird das alles jetzt nicht funktionieren. Bereits bei der Bekanntgabe der Schulschließungen ließ Faßmann aufhorchen („Natürlich werden wir für die Maturanten andere Regelungen treffen müssen“), in den darauffolgenden Tagen wurde er mit der Ansage, die Klausuren „um ein, zwei Wochen“ zu verschieben, konkreter. Bis heute ist jedoch nur bekannt, dass es „gut“ wäre, wenn man in der ersten Mai-Woche wieder in die Schule gehen könnte. Dann wäre ein Start der Prüfungen am 19. Mai „möglich“.

Und jetzt?

Aktuell ist es für den Großteil der Schülerschaft aber unvorstellbar, dass dieser neue Zeitplan halten wird. Viel zu vage ist die Gesamtsituation und spätestens seitdem mehrere Medien berichteten, dass Schulschließungen bis zu den Sommerferien angedacht werden, sitzen die Abschlussklassen auf Nadeln. Was wird mit der Matura?

Immer wieder wird zum Beispiel eine Verschiebung in den Herbst angedacht. Doch der Rattenschwanz, den diese Maßnahme nach sich ziehen würde, wäre wahrscheinlich zu lange. Neben bereits geplanten und fixierten Maturareisen, was noch der harmloseste Punkt ist, sind bereits Einberufungsbescheide zum Grundwehrdienst und zum Zivildienst eingeflattert, die meisten eben auf August und September lautend. Und die sind eigentlich nicht zu verschieben, wie auch der Beginn des neuen Semesters an den Universitäten. Und die Personen, die planen, im August zum Auslandszivildienst bzw. zum freiwilligen sozialen Jahr nach Israel oder Mexiko aufzubrechen, würden ebenfalls in die Röhre schauen.

Der Plan funktioniert nicht?

Auch eine Durchführung, wie sie jetzt geplant ist, erscheint zumindest aus Schülersicht nicht machbar. Zwar hatte Faßmann ja versichert, dass der Unterricht nicht ausfallen würde, faktisch ist eine gelungene Vorbereitung allein von zuhause aus unmöglich. Hierfür können noch so gute Plattformen geschaffen werden und noch so gute Lehrpersonen vor den Bildschirmen sitzen – ersetzbar ist der „klassische“ Unterricht damit nicht. Zudem gibt es in vielen Haushalten einfach keine Grundlage zum gelungenen Lernen, die be- troffenen Maturantinnen und Maturanten wären also automatisch im Nachteil – Die Lernphase vor der Matura wäre hierbei einfach unzureichend. Auch die fix eingeplanten Vorbereitungsstunden, die vor allem für die mündlichen Fächer wichtig sind, würden wegfallen. Und aus epidemiologischer Sicht ist eine verfrühte Öffnung der Schulen ebenflals fragwürdig, wie Forscher der TU Wien errechneten.

Was tun?

Und wie kommen die 40.000 Schülerinnen und Schüler dann zu ihren Abschlüssen? Es würde ein bisschen Improvisation und Vorlaufzeit erfordern, doch wahrscheinlich wäre ein Abschlusszeugnis mit den Durchschnitts-Noten aus den letzten Jahren die praktikabelste Option. Ganz ohne Prüfung. Dass die Personen in den Abschlussklassen den Stoff, der für eine erfolgreiche Matura von Nöten ist, beherrschen, haben sie ja schon damit bewiesen, dass sie über zwölf Jahre hinweg positive Jahreszeugnisse nach Hause brachten. Ob an diese zwölf Jahre jetzt noch eine Prüfung angehängt wird, die aufgrund der psychischen Belastung in der aktuellen Situation sowieso hirnrissig wäre, ist wirklich belanglos.

Auch die Angst mancher, ihr Maturazeugnis könnte zum Beispiel bei Bewerbungen weniger „wert“ sein, ist ebenfalls unbegründet: Als Unternehmen wird man es sich nämlich kaum leisten können, 40.000 junge Leute für den Rest ihres Lebens wegen dieser – im Kontext gesehen – „Lappalie“ zu diskreditieren.

Warum die Politik sich wehren wird?

Die Politik wird sich aber wohl sträuben, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Nicht auszudenken, was passieren würde, sollte bemerkt werden, dass es auch ganz gut ohne zentralisierte Reifeprüfung geht. Dann müsste man sich ja fast überlegen, die Prüfung, die Jahr für Jahr tausende Personen an die Grenzen ihrer Nerven bringt, vollkommen und endgültig zu streichen. Und das kann man dem doch so ehrgeizigen Land wirklich nicht antun. Also wird eine gestrichene Matura wohl keine Option für dieses Jahr, geschweige denn eine Überlegung als Zukunftshoffnung sein.

 

Dieser Text erschien zuerst – dank des lieben Tom Schaffer – auf der Website des MOMENT-Magazins.

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